Es ist immer mein Leben (Teil I)

Ivo Meier Bergfuehrer Bergsteiger Berge Leidenschaft Monte Rosa

Ivo Meier Bergführer, Bergsteiger und Referent

Es ist immer mein Leben (Teil I)

von Ivo Meier

Der Gipfel ist nur der halbe Weg. Vielleicht ist dies die wertvollste Erfahrung, die mich die Berge gelehrt haben. Der Erfolg, das Ende des Wegs, ist nicht dort, wo wir erfüllt sind, wo wir an der Spitze dessen stehen, was wir uns erträumt haben. Der Erfolg einer Bergtour ist, wieder wohlbehalten zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Das gilt auch, wenn wir in diesem Augenblick zu müde für jede weitere Erfahrung sind, unfähig, diesen Endpunkt als Glücks-Erlebnis zu begreifen.

Wer über die Berge spricht, von dem wird erwartet, dass er in Sonnenuntergängen schwelgt, von aufziehenden Wettern berichtet, Felswände beschreibt und die Erinnerung an kritische Situationen beschwört. Das mag alles plakativ und eindrucksvoll sein. Prägend allerdings ist die Normalität des Bergs. Seine Gegenwart. Der Weg zu ihm. Die Menschen, die uns begleiten.

Das Gute an diesen Erfahrungen ist, dass jeder von uns sie machen kann. Sie sind nicht reserviert für eine kleine Gruppe gut trainierter Extremsportler. Sie sind nicht vorbehalten für Leute, die sich Wochen-, ja bisweilen Monate- oder jahrelang auf eine Bergfahrt vorbereiten, obwohl dies sicher nicht schadet und das Training eine eigene intensive Körpererfahrung mit sich bringt. Die Bergsucht, von der ich spreche, beginnt aber viel früher. Sie nimmt ihren Ausgang beim Wandern, auf Treckingtouren und auch beim Skifahren.

Genau hier hat meine Bergerfahrung begonnen, beim Bergwandern mit meinem Vater in den engen Grenzen der DDR, in die hinein ich geboren wurde. Wir sind gegangen, in den Harz, den Thüringer Wald, aber auch in die Karpaten, Bulgarien, bis dann die Wiedervereinigung mir die Grenzen nicht nur in die Weite, sondern auch in die Höhe öffnete. Jetzt standen uns die Alpen offen, zunächst Zweitausender wie der Watzmann, die für mich am Übergang vom Bergwandern zum Bergsteigen standen.

Die Herausforderung, die mich einst an die noch kindlichen Grenzen brachte und mich lehrte, dass ich sie – durchaus auch unter Tränen und Schmerzen – überschreiten kann, ließ in mir den Wunsch nach mehr erwachsen. Und so fiel meine erste eigene Wahl, die mich mein Vater treffen ließ, mit dem Mont Blanc auf den höchsten Berg der Alpen. Das Glück, auf seinem Gipfel zu stehen war das Schlüsselerlebnis, das mein ganzes Leben bestimmen sollte.