Es ist immer mein Leben (Teil III)
Verantwortung auf dem Rücken
Die Verantwortung, die wir am Berg tragen, geht über die Einzelnen hinaus. Das gilt selbst, wenn wir alleine unterwegs sind, die Einsamkeit menschen-freier Bergwelten genießen, da auch hier im Falle einer Unvorsichtigkeit, die zum Unglück führt erfahrungsgemäß viele Menschen gefährdet sein können, ja im Endeffekt Retter oft ihr eigenes Leben riskieren müssen, da Bergopfer einfach leichtsinnig waren. Vor allem aber ist die Verantwortung füreinander, auf der gegenseitiges Vertrauen beruht, ebenso haltbar wie das Seil, das uns aneinander bindet. Wird dieses Vertrauen gestört, so ist dies im Grunde das Ende einer Tour.
Diese Erfahrung musste ich leider einmal am eigenen Leibe machen. Trotz objektiv guter Bedingungen von Wetter und Weg brachte uns die psychische Labilität des Partners in Lebensgefahr, der bei einer Matterhorn-Besteigung während des Abstiegs anfing, alle Schritte nachzufragen und alle Anweisungen zu problematisieren, schließlich Selbsttötungsphantasien nachhing. Ob Höhenluft, Depression oder schlechter Scherz ist für solche eine subjektive Gefahr unerheblich. In dem Augenblick, wo sich der Partner nicht mehr der gemeinsamen Verantwortung bewusst ist und stellt, ist der Fortgang der Tour zu Scheitern verurteilt. Auch dies ist eine Erfahrung, der sich alle Teilnehmer – hoffentlich nur im besten Zusammenhang – stellen müssen: Das menschliche Miteinander ist zwar nur ein fragiles Netz, muss aber in allen kritischen Situationen den Absturz aufhalten. Das ist im Leben nicht anders.
Eines lernt man am Berg: In Extremsituationen die Nerven zu behalten. So entschloss ich mich, nachdem ich in Chile inmitten der Atacama Wüste mit einer Reifenpanne liegen geblieben und der Ringschlüssel beim Radwechsel gebrochen war, erst einmal den vor mir liegenden Sechstausender zu besteigen und dann eine Entscheidung zu treffen. Zwar bestand keine Lebensgefahr, doch war das gesamte Projekt – 16 Sechstausender in 16 Tagen – in Frage gestellt. Schließlich riskierte ich es, auf Felgen eine einhundert Kilometer entfernte Grenzstation zu erreichen. Dort konnte ich den Reifenwechsel vollziehen und somit die Tour fortsetzen. Kurz: Auch wenn die Lösung nicht spektakulär erscheint, so hätte doch jede übereilte und unbedachte Spontanreaktion die gesamte Expedition scheitern lassen. (Ivo Meier)